Schweizer Kolonistendorf Nattwerder e.V.
14469 Potsdam OT Nattwerder | Brandenburg, Deutschland

Geschichtliches über den Ort und die Kirche Nattwerder



Der Ausbau von Potsdam zur 2. Residenzstadt von Brandenburg in den 1660er Jahren konnte nur gelingen, wenn die hierfür notwendige Versorgung gesichert war. Deshalb versuchte Kurfürst Friedrich Wilhelm in der unmittelbaren Nähe von Potsdam Ländereien für einen wirtschaftlichen Aufschwung urbar zu machen. Darunter zählte der Golmer Bruch (ein Niedermoorgebiet, das regelmäßig im Frühjahr und Herbst überschwemmt wurde). Trotzdem investierte er von 1678 an ca. 15.000 Reichsthaler für Meliorationsmaßnahmen in dieses Gebiet, um sein Ziel zu befördern.

Die zunehmenden sozialen Spannungen - vor allem in der ländlichen Bevölkerung - im Kanton Bern, waren für ihn ein willkommener Anlass, 1683 erneut beim Schultheiß und Rat der Stadt Bern wegen der „Überlassung von 10 bis 20 Familien, die der Wirtschaft und Viehzucht wohl erfahren sey“, anzufragen. Erstaunlicherweise zeigte die Schweizer Obrigkeit ein offenes Ohr für das Anliegen von Friedrich Wilhelm und so kam es 1685 zu einer Übersiedelung von 14 bäuerlichen Familien (insgesamt 101 Personen) aus der Region Bern/Aarau nach Kurbrandenburg. Der Kurfürst übernahm die Reisekosten für die Reise per Schiff von Bern über die Aare, den Rhein, über die Zuider- und Nordsee, die Elbe, die Havel bis in die Wublitzmündung. Die Reise dauerte vom 30. April bis 18. Juni 1685 und ist in dieser Form nie wiederholt worden.

Die Ansiedlung der Schweizer Kolonisten im Golmer Bruch bei Potsdam wurde vertraglich im September 1685 geregelt; der aus 21 Artikeln bestehende „Contract“ regelt in ganz ungewöhnlicher Art und Weise alle gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und erbrechtlichen Belange der Ansiedler. In den Vorverhandlungen zum Vertrag hatte der Art der Stadt Bern darauf bestanden, dass den "families so hinziehen werden, als ein Freyen Volk, wann sie etwan nit die verhoffte Fortun antreffen sollten, jederweilen erlaubt sein sollen wider nach Hauß zukehren und sie keiner Leibeigenschaft unterwürffig sein söllind". Die Leibeigenschaft ist in Preußen erst 1807 aufgehoben worden! Weitere Besonderheiten des Vertrages sind der Bau einer eigenen reformierten Kirche und die Gewährung eines eigenen Predigers.

Der Wirtschaftsraum für die über 100 im Golmer Bruch angesiedelten Personen stellte sich bald als zu klein heraus, zumal auch kein Ackerbau betrieben werden konnte und die inzwischen kultivierten Flächen je nach Niederschlagsmengen regelmäßig überschwemmt wurden. Dadurch wurde es unumgänglich die Schweizer Kolonisten auf das Vorwerk Golm, Nattwerder („Vierhäuser“) und auf das Vorwerk (Neu-)Töplitz zu verteilen.

Die reformierte Kirche Nattwerder (ursprünglich Friedensreichkirche genannt) wurde zum Verdruss der Kolonisten erst am 16. November 1690 vom Hofprediger Anton Brunsenius geweiht. Bis auf die 1797 eingebaute Ostempore einschließlich der Orgel, ist ihre Originalausstattung noch vollständig erhalten. Durch ihr ungewöhnlich schlichtes, fast karges Interieur verspürt man noch heute den calvinistischen Geist in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Das kommt am deutlichsten durch den Altartisch zum Ausdruck.

Die Kirche gehört seit der Unierung 1835 zum Kirchsprengel Töplitz. Hier finden regelmäßig Gottesdienste, Taufen und Trauungen statt. Im Sommer wird sie zu beliebten Sommerkonzerten genutzt.

Sehenswert ist ebenfalls der um die Kirche gelegene Friedhof. Die ursprüngliche Aufteilung auf die einzelnen Kolonisten ist noch heute ersichtlich. Das älteste Grabmal stammt aus dem Jahre 1856.

Nattwerder ist seit 1990 ein Ortsteil von Potsdam und inzwischen ein Flächendenkmal. Die ursprüngliche Anlage des Ortes auf einem geologischen Stock ist heute noch voll erkennbar, wobei die 4 Schweizer Höfe im Jahre 1867 durch Blitzschlag abgebrannt, aber noch im gleichen Jahr als Dreiseitenhöfe spiegelbildlich wieder aufgebaut worden sind.

D. Bleyl